Wenn an der Hochschule in Schweinfurt industrielle Arbeitsabläufe am Computer simuliert werden, dann haben die Wissenschaftler schlanke Schlakse genauso im Blick wie Menschen mit Bauchansatz. „Wir wollen so dicht wie möglich an die Realität“, sagt Prof. Dr. Ulrich Deutschle und stellt die neuesten Möglichkeiten digitaler Prozessplanung und virtueller Ergonomiebewertung im Rahmen des renommierten Fachforums Teamwork im großen Konferenzsaal der BMW-Konzernzentrale vor.
Ein bisschen erinnert die Software aus Schweinfurt an eine Mischung aus digitalem Küchenplaner und Computerspiel. Doch genau mit dieser Software lässt sich im Vorfeld exakt planen, wie lange zum Beispiel die Montage eines Elektromotors dauert. Welche Wege der Mitarbeiter dabei in welcher Zeit zurücklegt, welche Lasten auf seine Gelenke wirken und ob tatsächlich jede Schraube gut zu erreichen ist. Wenn der Jack – so heißt das Menschmodell mit dem einstellbaren Bauch und der variablen Körpergröße – sich zu sehr recken muss, wenn er schlecht sieht, was er macht oder andere Variablen den Produktionsablauf stören, geht es in der Praxis schnell um viele tausend Euro. Am Computer jedoch lassen sich Arbeitsplätze so gut planen, dass dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland gegenüber Billiglohnländern profitiert. Fazit: Ergonomie und Produktivität im Sinne einer Lean-Production-Philosophie sind keine Widersprüche, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille.
Neben Prof. Dr. Deutschle diskutierten im Rahmen des Fachforums eine ganze Reihe weiterer Fachleute unter Leitung von Moderator Ulf Tietge: Uwe Kaldowski, Produktionsleiter bei Sirona Dental Systems, berichtete über die Planung von Arbeitsplätzen, der Psychologe Ludwig Gunkel sprach zum Thema Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit von Menschen gegenüber Stress und anderen Belastungen. Max Kossmann von der BMW Group wiederum gab den rund 70 Teilnehmern Veranstaltung einen interessanten Einblick in Anwendungen, Potenziale und Herausforderungen bei der Mensch-Roboter-Kooperation – zudem genossen die Teilnehmer eine exklusive Führung durch die Produktion bei BMW. Das Teamwork Fachforum bot damit auch bei seiner sechsten Auflage ein interessantes Programm, weswegen Experten aus der ganzen Bundesrepublik nach München gereist waren. Die gemeinsame Veranstaltung der Firmen bimos, KARL und Waldmann war Wochen im Voraus ausgebucht.
Sirona-Produktionsleiter Uwe Kaldowski erläuterte, worauf es aus seiner Sicht bei Veränderungsprozessen im Lean Management ankommt: „Sie müssen die Menschen mitnehmen! Sie können den tollsten Arbeitsplatz der Welt entwerfen – wenn ihre Mitarbeiter die Neuerungen nicht mittragen, haben Sie verloren.“ Bei Sirona, dem weltweit führenden Ausstatter von Zahnarztpraxen, werden neue Arbeitsplätze mithilfe modularer Systeme aufgebaut, Videoanalysen der Abläufe werden studiert – und doch muss manchmal mit Pappkarton und Holzlatten skizziert werden. „Wir bauen den künftigen Arbeitsplatz im Maßstab 1:1. Mit Holz und Pappe geht es am schnellsten und die Mitarbeiter spüren, dass sie mitreden und mitentscheiden dürfen“, so Kaldowski. „Besser können Sie das Know-how Ihrer Werker gar nicht nutzen.
Und Sie kommen am Ende nicht nur zu guten Lösungen, Sie motivieren auch das gesamte Team.“ In der Praxis ließen sich Produktivitätssteigerungen zwischen 10 und 30 Prozent realisieren – und das längst nicht nur in der Großserienproduktion, sondern eben auch bei kleinen Stückzahlen von einigen Dutzend pro Woche.
Um Psychologie ging es auch im Vortrag von Ludwig Gunkel, dem Experten für Betriebliches Gesundheitsmanagement der AOK Bayern. Angesichts steigender Krankmeldungen von Arbeitnehmern infolge psychischer Belastungen (Burn-Out) konzentrierte sich Gunkel auf das Thema Resilienz, also die unterschiedliche Widerstandskraft von Menschen gegenüber Belastungen wie zum Beispiel Stress. „Es gibt eine Menge interessanter Untersuchungen hierzu“, sagte Gunkel. „Überraschenderweise gibt es sehr viele Faktoren, die beim Thema Resilienz eine Rolle spielen. In den USA beispielsweise hat man auf Hawaii herausgefunden, dass religiöse Menschen mit psychischen Belastungen viel besser umgehen als Atheisten.“ Neben dem privaten Umfeld und individuellen Faktoren spielen jedoch eine Reihe von betriebsspezifischen Faktoren eine wichtige Rolle - unter anderem Fragen nach dem Wieso und Warum. „Wenn Mitarbeiter wissen, wofür sie arbeiten, wenn sie sich mit dem Unternehmen und seinen Zielen identifizieren, geht vieles leichter und man kann Belastungen viel besser wegstecken“, sagte Gunkel. Die AOK bietet daher eine ganze Reihe von Schulungen und Beratungsleistungen an, die für Unternehmen mit bei der AOK versicherten Beschäftigten kostenlos sind.
Max Kossmann stellte Moderator Ulf Tietge nicht ganz zu Unrecht als den Roboter-Versteher von BMW vor. Seine Spezialität ist die Interaktionen von Mensch und Maschine. Angesichts einer stetig steigenden Variantenvielzahl in der Produktion geht es zusehends darum, auch bei industriellen Fertigungsprozessen flexibel zu sein – und die unterschiedlichen Stärken und Schwächen von Menschen wie Maschinen intelligent zu kombinieren. Kossmann: „Ein Roboter wird nicht müde und hat auch mit schweren Lasten und scharfen Kanten keine Probleme – auf der anderen Seite ist die Intelligenz des Menschen nicht zu schlagen, gleiches für die Hand-Auge-Koordination und komplexe Abläufe, die bei Fügeprozessen hohe Genauigkeit erfordern.“ BMW setzt daher nicht nur auf die bekannten großen Roboter, die absolut autark und in abgetrennten Sicherheitsbereichen arbeiten, sondern eben auch auf Leichtbauroboter, die quasi als dritte Hand fungieren oder Lasten leichter handhabbar machen. Für die Zukunft sind sogar Roboter in Form so genannter Exo-Skelette vorstellbar, bei denen der Mensch quasi in der Maschine seinen Platz hat. Kossmann: „Das kann man sich tatsächlich ein bisschen wie bei Avatar oder Matrix vorstellen. Es gibt sogar schon experimentelle Roboter, mit denen beispielsweise Feuerwehrleute mit schwerem Sicherheitsgerät ermüdungsfrei Treppenhäuser erklimmen können.“